„… Wünschen wir Ihnen eine ruhige und besinnliche Weihnachtszeit im Kreise Ihrer Lieben“, lese ich auf der alljährlichen Weihnachtskarte einer meiner Geschäftspartner. Ich muss schmunzeln. Alle Jahre wieder kommt mir diese Floskel banal und abgedroschen vor. Dennoch trifft sie, vor allem in diesem besonderen Jahr, den Nagel auf den Kopf.
In ruhigen Momenten sinniere ich darüber, wie Weihnachten und Silvester bei mir in den letzten Jahre ausgesehen haben: Als Kind einer heutzutage längst nicht mehr unüblichen Patchwork-Familie bin ich es gewohnt, eher „Fröhliche Weihnacht überall“ anstelle von „Stille Nacht, heilige Nacht“ zu zelebrieren. So darf ich mich glücklich schätzen, sehr viele Menschen um mich zu wissen, denen ich, grade zur Weihnachtszeit, meine Zeit schenken möchte. Das bedarf vor allem zweier Dinge: Guter Organisation und Kaffee. Jeder Menge Kaffee. Den Coffee-to-go-Becher fest mit der linken Hand umklammert, fahre ich zu meiner Mutter, den diesseitigen Großeltern, anschließend zu meinem Vater, klappere meine Geschwister ab, Neffen und Nichten will ein Besuch abgestattet werden, die Schwiegereltern dürfen nicht außen vor bleiben und auch Schwager und Schwägerinnen planen ein großes Beisammensein. Dazu noch ein Treffen mit den besten Freunden, die herrlich nostalgisch einen Teil der Feiertage in „der alten Heimat“ verbringen. Dazwischen fünfundvierzig Festtagsgrüße, die ich, möglichst individuell gestaltet und personalisiert, per WhatsApp an alle weiteren Freunde und Bekannte versende. Schließlich ist Weihnachten, hier wird niemand zurückgelassen.
Bei all dem Trubel klingt es mir in den Ohren: „Es ist doch schön, wenn wir alle mal wieder zusammenkommen. Das macht man ja sonst so selten.“ Schön, das ist es, keine Frage.
Dennoch bleibt eine traurige Wahrheit: Während ich versuche, all den lieben Menschen in meinem Leben (und seien wir ehrlich, dabei vor allem meinen eigenen Ansprüchen) gerecht zu werden, indem ich zwischen Adventskaffee, Weihnachtsbrunch und Raclette von A nach B hetze, verbringe ich im Grund die meiste Zeit an einem ganz anderen Ort – in meinem Auto. Einen Großteil der Strecken alleine, einige Fahrten gemeinsam mit meinem Mann und wenige Routen mit Teilen der Familie, die wir „vielleicht doch noch einsammeln müssen“. Eines aber hat jede Autofahrt gemein: Meistens auf den letzten Drücker, die Zeit mit jedem Blick in den Rückspiegel ein Stück weit näher im Nacken.
Spät abends, hinter verschlossener Haustür, bin ich zwar jedes Mal freudig, alle gesehen zu haben, vor allem aber erschöpft und müde, gedanklich bereits den Zeitplan für den Folgetag durchgehend und sehne mich nach meinem Bett. Einerseits bin ich stolz, vor Ort in lächelnde Gesichter geblickt zu haben, andererseits schwingen Sätze in mir fort wie „Musst du denn wirklich schon wieder gehen?“, oder „Vielleicht hast du ja beim nächsten Mal ein bisschen mehr Zeit … “
Taten sagen mehr als Worte. So weit so gutdenke ich, schließlich bemühe ich mich, allen zu zeigen, wie viel sie mir bedeuten, indem ich von Weihnachten bis Neujahr durch halb Deutschland kurve. Dumm nur, wenn sich rausstellt, dass die eigentliche Tat darin besteht, nie den presenten Moment mit den mir wichtigsten Menschen zu genießen, sondern gedanklich immer schon wieder den Fuß aufs Gaspedal zu setzen, um verlorene Minuten einzuholen. Wenn das Getane bedeutet, den Liebsten nicht die Aufmerksamkeit zu schenken, die sie es wert sind zu erhalten und wenn der Zeitdruck keinen Raum für die wirklich bedeutsamen Worte lässt.
Weihnachten und Silvester sind dieses Jahr anders.
Es sind nicht nur Gesetzesauflagen, die uns Corona bedingt bereits in der Vorweihnachtszeit einen Strich durch die Rechnung machen, es sind auch die Ängste unserer Mitmenschen, die ein Beisammensein erschweren. Der Zugewinn, den ich in der Vorweihnachtszeit daraus ziehe ist Zeit. In aller Ruhe verbringe ich die sonst so geschäftigen Tage damit, Plätzchen zu backen und Kekstütchen zu packen. Mit Stoffen und Textilmarkern kreiere ich persönliche Weihnachtspräsente. Außerdem genieße ich dieRuhe, Grußkarten selbst zu basteln, nahezu meditativ mit Aquarellstiften über den Karton zu streifen und die kleinen Kunstwerke abschließend, jedes für sich, zugeschnitten auf den/die Empfänger/in zu verzieren. Rechtzeitig abgeschickt finden die Geschenke ganz entspannt per Post ihren Weg zu meinen Liebsten. Im Schein des Weihnachtsbaumlichts, bei Keksen und einer Tasse Tee führe ich währenddessen die schönsten Telefongespräche mit Freunden und Familie. Wir reden darüber, wie es uns geht und was uns derzeit bewegt. Wir teilen einander mit, wie sehr wir das Beisammensein vermissen und dass wir uns gegenseitig brauchen. Dinge, für die es das erste Mal Zeit zu geben scheint.
Die Feiertage verbringe ich schließlich mit meinen Eltern. Wir sitzen gemeinsam am Esstisch, spielen in gemütlicher Runde bei Snacks und Getränken Karten, lümmeln auf der Couch und tauschen neben Geschenken Erinnerungen und Geschichten unterm Weihnachtsbaum aus. Zurück in meine vier Wände fahre ich, wenn die letzte Kerze ausgebrannt, das letzte Plätzchen gegessen und der letzte heiße Kakao getrunken ist.
Dieses Jahr lasse ich Taten sprechen, ohne dabei Worte einzubüßen.
2020 ist deutlicher denn je, wie wichtig gesunde, aufrichtige Kommunikation ist, gegenüber anderen genauso wie dir selbst. Dabei ist nicht nur von Bedeutung, was wir zueinander sagen, es geht auch darum, wie wir miteinander sprechen, darum einander Raum zu geben. Es geht darum, sich gegenseitig wahrzunehmen, dein Gegenüber zu sehen und damit zu respektieren. Zurückblicken, nichts anderes bedeutet das aus dem Latein kommende „respectare“. Und egal, wie sich das diesjährige Weihnachtsfest oder der Jahreswechsel für dich gestalten, ob du es in kleiner Runde mit Familie oder Freunden zelebrierst, ob du zweisam unterm Tannenbaum Geschenke öffnest oder ob du mit dem wichtigsten Menschen der Welt, mit dir selbst, Wunderkerzen entzündest, gib dir und deinen Mitmenschen den Raum, den ihr verdient.
Es gibt keinen besseren Moment als jetzt.