Wie gerne neigen wir dazu, zu klassifizieren? Bei Dingen ist das oftmals relativ leicht und schnell in Form von Schwarz-Weiß-Denke abgetan. Bei Menschen wiederum sieht das schon wieder anders aus. Wird das unserem Gegenüber gerecht? Wahrscheinlich nicht. Neigen wir trotzdem dazu? Auf jeden Fall.

Vor allem im Bereich Persönlichkeitsentwicklung sprechen wir viel über Merkmale. Ist jemand eher introvertiert oder extrovertiert? Verhält er/sie sich eher personen- oder prozessbezogen? Haben wir es mit einem Kopf- oder einem Gefühlsmenschen zu tun? Schublade auf, Schublade zu.

Ich habe jemanden kennengelernt.

Wenn ich das so hervorhebe, muss ich schmunzeln, ist das doch eigentlich nichts Ungewöhnliches. Grad zu COVID-Zeiten lässt sich das dennoch vermutlich unter Rarität verbuchen. Aber zurück zum Thema: In unserem Kennenlernen ist über die Zeit eines für uns klar geworden:  Er ist ein Kopfmensch, der alles durchdenkt und keine gedankliche Option auslässt, ich bin ein Gefühlswesen, welches intuitiv Entschiedenes (er-)lebt.

Auf den ersten Blick klingt das einfach und herrlich definiert. In der Retrospektive hätte es also klar sein müssen, dass Himmel und Erde zwei unterschiedliche Welten bilden. Zumindest scheint das der Grund, weshalb dieser Mensch, trotz aller für uns sprechenden Optionen, die wenig Protestierenden als ausschlaggebend erachtete. So gehen wir getrennte Wege oder zumindest im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr Hand in Hand, in aller Freundschaft.

Freundschaft hin oder her, auch das will verarbeitet werden.

Wie ich das mache?

Mit doppeltem Salto und dreifacher Schraube stürze ich mich, wer hätte das gedacht, in meine Gefühlswelt. Von den Wogen der Musik meiner Spotify-Playlist getragen, tauche ich abwechselnd in das tosende Meer der Traurigkeit ein und reite auf den aufbrechenden Wellen des Optimismus. Unabhängig von farbenfroh skizzierten Metaphern bedeutet das im Grunde genommen, dass ich in mich reinspüre und jeglichen Impuls zulasse, der mir dabei entgegenschlägt.

Eine Freundin ruft morgens an, dass Schnee gefallen ist. Barfuß und nur mit einem langen Pullover bekleidet, laufe ich in den Garten, lausche dem Knistern des leicht angefrorenen Schnees unter meinen Füßen und fange Schneeflocken auf meiner Zunge. Ich lade mir „Hook“ im Streaming-Dienst herunter und sehe Robin Williams mit glitzernden Augen dabei zu, wie er sich der Leichtigkeit des Fliegens erinnert und kaufe im Supermarkt Trinkpäckchen, deren Ecken ich beim Schlürfen des Inhalts nostalgisch nach oben klappe, so wie meine Mutter es früher für mich getan hat. In meinen Ohren dabei die Kopfhörer, über die Hoffnungsklänge aus Disneyfilmen an mein Gehör dringen. Im sicheren Raum meiner warmen vier Wände tanze und singe ich dazu aus vollem Hals. Ich bin traurig und ängstlich, freudig und wütend zugleich.

Wie er das macht?

Abgeklärt sinniert er darüber, auch mal wieder meditieren zu müssen. In Pro- und Contra-Listen wägt er die Sinnhaftigkeit seiner Entscheidungen ab, beobachtet morgens die zarte Schicht Schnee auf seiner Terrasse und horcht dem Zwiespalt seiner Gedanken. „Wenn ich jetzt noch laufen gehe, sehe ich vielleicht noch etwas schneebedeckte Landschaft, bevor alles weggetaut ist.“

Zugänglich für jedermann auf Social Media beobachtet er im Laufe des Tages mein Tun. Auf dem Handydisplay erscheint, wie ich mit nackten Beinen durch den Schnee balanciere und ihm stellt sich die Frage: „Warum habe ich das nicht gemacht?“. Mit dem nächsten Schneefall erscheint in meinem Social Media Feed ein Bild von Barfuß-Spuren im Schnee. In Sprachnachrichten berichtet er mir freudig von seinem Erlebnis und teilt mir später mit, wie befreiend es ist, zu Disney-Songs durchs Haus zu rauschen, gefolgt von dem Bild eines Schneemanns mit der Aufforderung „Challenge!!!“ an mich gleichzuziehen.

Indes …

… Robbe ich gedankenfrei durch den Garten, fasse pappige Schneehaufen zu wohlgeformten Kugeln zusammen, errichte neben meiner Terrassentür eine stattliche Schneefrau und staffiere diese mit allerlei Deko, wie Kleid, Schmuck, Perücke und Klimperwimpern aus. Zufrieden mit „Olga“ und mir wate ich zurück in die warme Stube und belohne mich mit einer Tasse heißem Kakao. Auf meinem Handybildschirm blitzt eine Nachricht auf. Mir entgegen prangt das Bild eines Schneemanns, samt Hut und Sonnenbrille. Darunter die Bildbeschreibung „Challenge!!!“.

Meine Gefühle fahren Achterbahn. Ich bin ängstlich: „Wenn ich jetzt ein Bild von Olga mache, sieht es aus, als wäre ich auf die Aufforderung eingegangen.“ Und wütend: „Ich habe die Idee doch schon vor dem blöden Bild gehabt!“ Und traurig: „Bilder von Spuren im Schnee, gelöstes Singen, gelebtes Gefühl, … all das zeigt ER nach draußen. All das zeigt er dank MIR, nicht mit mir. All das sehen ANDERE Menschen. All das werden SIE erleben, dank MIR, mit IHM.“

Im Looping der Achterbahn gefangen, …

… Überschlagen sich meine Empfindungen unkontrolliert. Meine Gliedmaßen zittern, ein Kloß manifestiert sich in meinem Hals, unbewusst balle ich meine Hände zu Fäusten und Tränen steigen mir in die Augen. Als unvermittelt ein Gedanke mein inneres Karussell abrupt zum Halten bringt: „Jetzt seid mal still! Lasst den Typen doch frei sein. Nur weil er mit einem Mal sein Glück findet, heißt das doch nicht, dass unseres dadurch an Wert verliert. Wir müssen ihm nicht dabei zusehen, wie er glücklich ist, wir können die Perspektive wechseln und den Blick wieder auf das unsere lenken.“

Die plötzliche Erkenntnis, dass es nicht die Gefühle sind, sondern dass es mein Kopf ist, der sich hier bei mir meldet, erschüttert mich kurz und rüttelt mich gleichermaßen wach.

 

In unserem Auseinandergehen ist über die Zeit eines für mich klar geworden: Er ist nicht nur Kopfmensch, der alles durchdenkt und keine gedankliche Option auslässt, ich bin nicht nur Gefühlswesen, welches intuitiv Entschiedenes (er-)lebt. Auf den ersten Blick klingt das vielleicht schwierig und fürchterlich kompliziert. In der Prospektive ist klar, dass Himmel und Erde an einem Punkt zweier unterschiedlicher Welten in Verbindung treten.

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