Von Stadt zu Stadt, über Berg und Tal. Seit knapp einem halben Jahr darf ich wieder die Schulungsräume der deutschen Hotellandschaft bespielen.
Wir verschicken Einladungen an unsere Kund*innen und versenden nach Erhalt der Anmeldungen die entsprechenden Auftragsbestätigungen. Sowohl in der Einladung wie auch in der finalen Bestätigung informieren wir die Teilnehmer*innen über sämtliche Tagespunkte bezüglich des geplanten Schulungstages. Darin enthalten sind unter anderem die Adresse des jeweiligen Hotels, in welchem die Schulung stattfindet, sowie Datum und Uhrzeiten der Veranstaltung.
Zwischen 20 und 30 Teilnehmer*innen aus der Kosmetikbranche. Von morgens 9:30 Uhr bis nachmittags 17:00 Uhr. So zumindest der Plan. Wenn ich in dem letzten halben Jahr nämlich eines gelernt habe, dann dass Zeitplanung am Ende nur so viel Wert ist, wie die Menschen ihr Respekt beimessen.
Das Setting
Eine Dreiviertelstunde vor Veranstaltungsbeginn stehe ich zurechtgemacht und geschniegelt vor dem Schulungsraum. Es gibt Begrüßungskaffee inklusive kleiner Snacks. Schließlich möchte ich meinen Teilnehmer*innen etwas bieten und vor allem ggf. längere Anreisen honorieren. Für mich ist es keine Selbstverständlichkeit, dass Menschen womöglich einen ganzen Tag lang ihr Geschäft zuschließen, um ihre Zeit in den Tagungsräumlichkeiten eines Hotels zu verbringen. Klar, die Hotels sind in der Regel gemütlich bis luxuriös und was wir an Essen und Geschenken auffahren, ist nicht außer Acht zu lassen. Trotzdem bin ich dankbar über alle Anwesenden, die eine Schulung als Investition statt nur als verursachte Kosten durch Ladenschließung betrachten.
Die ein oder andere engagierte Person findet sich bereits gegen 9:00 Uhr im Empfangsbereich ein. Dennoch darf ich immer wieder erleben, dass Teilnehmer*innen nicht selten, teils sogar unabgemeldet, komplett fernbleiben oder dass um halb zehn noch ein Großteil der angemeldeten Personen mit Abwesenheit glänzt.
Der Verkehr sei immer so unberechenbar in der Gegend, man war sich nicht mehr sicher, in welchem Hotel die Veranstaltung stattfände, … die Liste ist lang. Eines aber haben meist alle Punkte darauf gemeinsam: Sie sind planbar.
Die Sache mit der Wertschätzung
Wenn ich eine Schulung plane, dann vor allem für meine Teilnehmer*innen. Jede*r einzelne soll sich rundum wohlfühlen. Angefangen mit einem entspannten Ankommen bei einer wohligen Tasse Kaffee oder Tee bis hin zu individuell zugeschnittenen Inhalten, so dass alle mit dem bestmöglichen Maß an Information und Motivation am Abend die Heimreise antreten.
Ich will niemandem Böswilligkeit unterstellen, schon gar nicht gegenüber mir persönlich. Was bei mir als Referentin allerdings hängen bleibt, wenn Teilnehmer*innen zu spät kommen, ist mangelnde Wertschätzung. Offen angesprochen führt diese Äußerung allerdings erfahrungsgemäß zu Ablehnung.
Wie also kann ich meinen Standpunkt deutlich machen, ohne dass sich die Beteiligten auf den Schlips getreten fühlen?
Bei den Anwesenden handelt es sich um Kosmetiker*innen. Vom Wesen her ist diese Berufsgruppe zumeist serviceorientiert. Im klassischen Szenario setzen Kosmetiker*innen alles daran, ihren Kund*innen eine möglichst erholsame Zeit zu schenken. Eine Auszeit vom Alltag, in der ihren Kund*innen die volle Aufmerksamkeit gebührt. Angefangen mit einem herzlichen Entree über einige Stunden Pflege von Körper und Geist – Man könnte also meinen, unsere Jobs sind sich gar nicht so unähnlich.
Um mein Dilemma greifbar zu machen, fahre ich mit folgendem Beispiel auf:
Sie kennen das vielleicht, um 13:00 Uhr hat die Kundin/der Kunde einen Termin bei Ihnen. Um fünf nach eins klingelt das Telefon: „Hallo. Entschuldigung, ich wollte nur sagen, dass ich zu spät bin …“ Ach. „Ich denke, in zehn Minuten bin ich da.“
Selbstverständlich sind Sie großherzige Kosmetiker*innen und möchten, dass Ihre Kund*innen sich gut fühlen, deshalb sagen Sie geduldig: „Alles in Ordnung, fahr ganz in Ruhe, ich bin da.“
Zwanzig Minuten nach eigentlichem Terminbeginn rauscht Ihre Kundschaft in Ihr Ladengeschäft und fragt, natürlich rein rhetorisch, mit geballter Selbstverständlichkeit: „Aber die Behandlung kriegen wir ja hin, oder?“
In der Regel ist spätestens das der Moment, an dem alle Anwesenden in sarkastisches Gelächter ausbrechen.
Na klar! Natürlich ist es überhaupt kein Problem eine 90-minütige Behandlung in 70 Minuten zu absolvieren.
An der Stelle durchzieht den Raum häufig wildes Gemurmel, körperlich untermalt von wissendem Nicken oder entrüstetem Kopfschütteln über die bekannte Situation.
Pointiert setze ich der Erzählung mit den Worten „Sehen Sie, genauso geht es mir“ ein Ende.
Meist herrscht hierauf erst einmal betretene Stille, gefolgt von Sätzen wie „Das war mir gar nicht bewusst.“
Genau das ist der Punkt:
Wenn wir mit Menschen in Verbindung treten (möchten), dann setzt dies in der Regel Verbindlichkeit voraus. Von beiden Seiten.
Da nehme ich mich als Trainerin übrigens nicht raus. Auf unserer Einladung steht wie gesagt eine Schulungszeit von 9:30 Uhr bis 17:00 Uhr. Meine Vorgängerin war in der Vergangenheit der Ansicht, die letzte Kaffeepause auf 16:00 Uhr nach hinten zu verlegen und damit das Seminar abzuschließen. Wie ich sie dafür liebe …
Dem pawlowschen Prinzip sei Dank hatte ich die erste Schulungssaison regelmäßig damit zu kämpfen, dass Teilnehmer*innen die Veranstaltung frühzeitig verlassen „mussten“. War ja schließlich immer so. Das ging so weit, dass noch während der Schulung Materialien und Geschenke raschelnd in den Taschen verstaut wurden und Teilnehmer*innen aufmerksamkeitsträchtig den Raum verließen. Hatte eine*r erstmal angefangen, zogen häufig diverse weitere Personen nach.
„Bevor Sie gehen, darf ich Ihnen noch eine Frage stellen?“, blieb mir irgendwann nichts anderes übrig zu fragen. „Nehmen wir an, ich buche 60 Minuten Behandlung in Ihrem Institut. Nach 40 Minuten stehe ich unvermittelt auf, ziehe mich an und verlasse die Kabine. Was denken Sie?“ „Na ja“, sagte eine Dame, die grad noch im Inbegriff war, den Raum zu verlassen. „Ich würde denken, dass da irgendwas ganz schön schiefgelaufen sein muss.“
Ihre Antwort quittierte ich mit einem bestätigenden „Danke.“
Mach Teilnehmer*innen zu Betroffenen
In einem Hollywood-Blockbuster würden nach einem solchen Dialog alle Aufbruchbereiten geläutert, aber verständnisvoll wieder an ihre Plätze zurückkehren. Ausgestattet mit einem neuen Bewusstsein und einer empathischeren Sicht aufs Leben.
Zugegeben, ganz so ist es in der Realität nicht abgelaufen. Der Großteil der Teilnehmenden entschuldigt sich tatsächlich peinlich berührt. Es tut ihnen leid, der Tag ist toll und sie wollen auf keinen Fall einen solchen Eindruck erwecken. Einige gehen trotzdem, weil es eben immer so war, entschuldigten sich im Anschluss aber noch einmal telefonisch oder senden ein begeistertes Feedback per Mail, samt Versprechen beim nächsten Mal mehr Zeit einzuplanen. Und ja, einige wenige fühlen sich natürlich auf den Schlips getreten.
Wenn nur einer die Hand hinhält, gehen wir noch lange nicht gemeinsam.
Nur weil einer die Nummer wählt, entsteht noch kein Gespräch.
Egal ob beruflich oder privat, wir alle wünschen uns im Kern von unseren Gegenübern gewertschätzt zu werden. Für das, was wir tun, das, was wir leisten und das, was wir sind. So zumindest der Plan.
Also greif nach der Hand. Nimm den Hörer. Geh in Verbindung.